TAGESSPIEGEL: Köpenick ist überall
Der Hauptmann von Köpenick in Nairobi: Eine Berliner Produktionsfirma hat eine afrikanische Version der legendären Hauptmann-Posse gedreht.
Bilder"Kleider machen Leute." Diese Weisheit gilt schon seit Gottfried Kellers gleichnamiger Novelle. Viel größere Bedeutung hat sie jedoch für den "Hauptmann von Köpenick".
So viele Knöpfe, so viele Schalter, Hunderte vielleicht, man müsste sie mal zählen. Kontrollleuchten, Monitore, Bedienelemente von kaum zu erahnender Funktion, verteilt auf ein Pult, groß wie ein Esszimmertisch. Mit solch einer Tonanlage als Kulisse könnte man Szenen aus der Kommandozentrale von Raumschiff Enterprise drehen. Doch es ist ein reales Tonstudio in einem Gewerbebau nahe der Oberbaumbrücke, und auf der Leinwand läuft eine Kneipenszene aus Afrika: Zwei junge Männer, aus dem Knast entlassen, ein schönes Mädchen, das kurz durchs Bild huscht, ein betrunkener Offizier, im Vorübergehen bestohlen, eine zu Unrecht verdächtigte und verprügelte Hure, Einschreiten des Haupthelden, der nun seinerseits zusammengeschlagen wird. Wieder und wieder läuft die Szene ab. Das Bild stimmt, jetzt wird der Ton gemischt, dieses Geräusch betont, jenes Hintergrundgeplauder reduziert – ein Jonglieren mit Dutzenden Tonspuren. Eine der letzten Arbeiten an „The Captain of Nakara“, von der in Schöneberg ansässigen Firma Papermoon Films produziert, in Nairobi gedreht, zum Feinschliff nach Berlin zurückgekehrt – an den Geburtsort der Urgeschichte: Der Hauptmann von Köpenick.
Nun spielt sie in Kwetu, einer fiktiven Militärdiktatur im Afrika der siebziger Jahre. Vieles wird hiesigen Zuschauern, vertraut mit Wilhelm Voigts Köpenickiade von 1906 und den diversen Umsetzungen des Stoffes, bekannt vorkommen: das vergebliche Zappeln des Gestrauchelten um Rückkehr in ein bürgerliches Leben; die Arroganz der Behörden, diesmal bis in die letzte Faser durchtränkt von Korruption, die in der Urgeschichte noch keine Rolle spielte; und vor allem die Anbetung der Uniform und ihrer Träger. Auch Muntu (Bernard Safari), der Held der märchenhaften Komödie, erlernt per Zufall das militärische Reglement, allerdings nicht von einem dem Soldatentum verfallenen Gefängnisdirektor, sondern von einem alten Offizier, den er vom Selbstmord abhält und der sich aus Dank seiner annimmt. Doch wie Carl Zuckmayers Figur landet er ein zweites Mal im Knast, stiehlt dort dem ewig betrunkenen Hauptmann der Anfangsszene die Uniform und übertrifft damit sogar den Vorgänger aus Köpenick: Er wird Präsident.
Vor gut fünf Jahren sei die Idee zu dem Projekt entstanden, erzählt Produzent Oliver Thau. Sie ist damit so alt wie die Firma Papermoon Films selbst, die er, zuvor Einkäufer eines längst insolventen Verleihs, mit Dorota Budna, ehemals Kostümbildnerin, gegründet hat – ein kleines Unternehmen, das bei aktuellen Produktionen anschwillt und danach wieder schrumpft – bis zum nächsten Film. Einer lief auf dem Filmmarkt der diesjährigen Berlinale, „Urban Explorer“, eine im heutigen Berlin spielende Mischung aus Thriller und Horror, die am 20. Oktober ins Kino kommt.
Keimzelle des „Captain of Nakara“ war die Beobachtung, dass gerade in Afrika viele Offiziere „einen extremen Hang zu kindlicher Uniformierung“ haben, sagt Thau. Eine „Kleider machen Leute“-Geschichte, so der Gedanke, müsste da gut hinpassen, nicht à la Gottfried Keller, sondern nach dem Vorbild aus Köpenick. Versuche, im französischsprachigen Afrika Mitstreiter zu finden, scheiterten, erst in Kenia wurde man fündig. Thaus Bruder, Studienleiter bei der Münchner Drehbuchwerkstatt, vorübergehend auch in Nairobi tätig, empfahl ihm den jungen Theaterautor Cajetan Boy, dem man Carl Zuckmayers Stück zu lesen gab – der erste Schritt zum Drehbuch von „The Captain of Nakara“.
Das Geld, knapp 700 000 Euro, war schwieriger zu beschaffen. In Deutschland erwies es sich als unmöglich. Afrika sei ein „Downer“, hieß es etwa beim WDR, wo man vorschlug, zumindest noch einen weißen Charakter in die Geschichte hineinzuschreiben, was die Produzenten ablehnten. Freigiebiger war ein französischer Filmfonds, auch bei der EU in Brüssel fand man Gefallen an dem Projekt, zumal damit die afrikanische Filmszene gefördert werden konnte. Ohne einen zuverlässigen lokalen Partner mit genauer Kenntnis des Drehorts Nairobi und seiner möglichen Fallstricke wäre es nicht zu stemmen gewesen, sagt Thau. Er fand ihn in der Firma Blue Sky Films, die sich schon bei „Der ewige Gärtner“ und dem Iris-Berben-Film „Die Patriarchin“ bewährt hatte. Die Regie übernahm Bob Nyanja, der im kenianischen Fernsehen eine Unterhaltungsshow leitet. Auch die Schauspieler wurden in Kenia rekrutiert, sind dort teilweise bekannt, einer etwa durch die afrikanischen Coca-Cola-Spots zur Fußball-WM 2010.
Im November und Dezember wurde gedreht, mit deutscher Ausrüstung und heimischem Personal, an leider sehr verstreuten Drehorten – angesichts des dortigen Verkehrschaos eine logistische Herausforderung. Und auch die Arbeit am Set war komplizierter als gewohnt. Absperrungen waren kaum möglich, Ruhe beim Drehen daher auch nicht, und so muss nun der Ton nachträglich besonders sorgfältig bearbeitet, dieses entfernt, jenes separat aufgenommen und dazugemischt werden.
Mit den Dialogen in Englisch und Suaheli läuft es auf Untertitel hinaus. Arte hat die Senderechte erworben. Man hofft nun auf den afrikanischen DVD-Markt, die dortige Kinoszene, auf hiesige Festivals, kleine Verleihfirmen – und nicht zuletzt auf die in der Welt verstreuten Kenianer, die hochinteressiert seien an Filmen aus der Heimat. Einige in Berlin haben an „The Captain of Nakara“ sogar mitgewirkt, als nachträglich Gespräche für die Geräuschkulisse aufgenommen werden mussten. Als sie die Aufnahmen, die Erfahrungen des Helden mit dem korrupten Staatsapparat zum ersten Mal sahen, lachten sie schallend: Sie kannten das.